AutorInnen: Karin Ehinger-Dossow & Maria Matzenmiller
Zertifizierte infans-Multiplikatorinnen
„Gut aufgehoben in der Kita“, der Titel der Veröffentlichung von Hans-Joachim Laewen und Beate Andres von 2022 regt uns infans-Multipliaktor:innen zum Nachdenken darüber an:
Wer fühlt sich in diesen Zeiten denn „gut aufgehoben“ und in der pädagogischen Landschaft verantwortlich?
Die aktuellen gesellschaftlichen, ökologischen, politischen und wirtschaftlichen Krisen scheinen die Sorgen und Ängste, die bereits in der Pandemie entfacht wurden, zu potenzieren. Die Kita-Landschaft zeigt sich auch hier als ein Spiegel der Gesellschaft. Viele Themen, die bisher schon relevant waren, verdichten sich und es bleibt nicht aus, dass Familien ihre vielfachen Belastungen mit in die Kita bringen.
Fachkräfte – oft selbst verunsichert – sollen einen Hafen der Sicherheit bieten, für Kinder einen angstfreien Ort schaffen und für die Eltern die Gewähr für eine verlässliche und qualitativ hochwertige Betreuung, Erziehung und Bildung bieten. Dies als Aufgabe von Kita- Systemen, die häufig durch Fachkräftemangel, hohe Krankenstände, Frustration und Perspektivlosigkeit der Beteiligten sowie Herausforderungen in der Kooperation, drohen zusammenzubrechen.
Wenn Pädagog:innen sich selbst nicht mehr als wirksam und handlungsfähig erleben, hat dies unmittelbare Folgen auf den pädagogischen Alltag und die Atmosphäre in einer Kita.
Träger versuchen diese Herausforderungen vor allem unter dem Druck des Rechtsanspruches zu lösen, kommen jedoch immer mehr sowohl fachlich wie auch organisatorisch an ihre Grenzen. Zum Teil sind sie gezwungen, Öffnungszeiten temporär oder dauerhaft zu verkürzen, was wiederum die Eltern vor große Herausforderungen stellt und den Kindern einen kontinuierlichen Kita-Alltag vorenthält.
Es laufen auf verschiedenen Ebenen Projekte und Programme, um Fachkräfte zu gewinnen und Ausbildungskapazitäten werden erhöht. Die Bemühungen beinhalten Chancen und Gefahren. Aufgrund der krisenhaften Lage bleibt es nicht aus, dass die Attraktivität des Berufsbildes Fachkraft in der Kita in Frage gestellt wird, obwohl die Vergütung inzwischen auf einem höheren Stand als vor Jahren ist. Aufgrund von Änderungen der Rahmenvorgaben kommen zunehmend Quereinsteiger:innen in die Kitas, die Einarbeitung und Anleitung durch die Fachkräfte benötigen. Von Leitungen und Fachkräften wird ein hohes Maß an Flexibilität und Veränderungsbereitschaft erwartet. Positive Effekte durch multiprofessionelle Teams werden von hoher Fluktuation der Fachkräfte und dadurch fast durchgehenden Einarbeitungssituationen abgeschwächt.
„Gut aufgebhoben in der Kita“ legt den größten Schwerpunkt auf die Kooperation im Team und auf die Aufgabe, den Kindern unserer Gesellschaft einen Ort zu bieten, an dem sie gut und sicher aufgehoben sind und als selbstbewusste Persönlichkeit einen verantwortlichen Platz in einer Gemeinschaft einnehmen können.
Die Ergebnisse der Münchner Krippenstudie[1] zeigen, daß das pädagogische Team und die im Teamprozess freigesetzten Ressourcen entscheidenden Einfluss auf die Prozessqualität in den Einrichtungen haben. Fachkräfte können nur dann pädagogisch wirksam arbeiten, wenn sie für die Kinder verlässliche und emotional verfügbare Beziehungspersonen sind, die sowohl Unterstützung als auch Herausforderungen anbieten, die Kinder bei Bedarf anleiten und einen anregungsreichen und sinnhaften Rahmen schaffen. Die Partizipation der Kinder an der Gestaltung des Alltags ist eine fachliche Notwendigkeit ebenso der Kinderschutz, der Schutz vor Gewalt und die notwendige Fort- und Weiterbildung der Fachkräfte. Die Aufgaben sind komplex und nur durch eine hochwertige Steuerung und Leitungs- sowie Trägerkompetenz ist es leistbar, dass Teams eine überschaubare und verstehbare Aufgabensituation vorfinden. Diesbezüglich ist es notwendig, dass Fachkräfte, Auszubildende und Nichtfachkräfte gut abgestimmt zusammenarbeiten und sich selbst im System Kita gut aufgehoben fühlen sollten. Gerade deshalb ist es erforderlich, in die Zusammenarbeit der Teams zu investieren und die Teamthemen und -dynamiken gemeinsam zu bearbeiten.
In der Zusammenarbeit mit den Eltern zeigt sich häufig, dass sie, insbesondere wenn sie alleinerziehende Eltern sind, durch die aktuelle Situation in Schwierigkeiten kommen, ihre Erwerbstätigkeit (oder Ausbildung) wie bisher weiterzuführen. Engpässe in den Kitas ziehen Engpässe in anderen relevanten Bereichen nach sich, da Eltern z. T. nur durch Reduktion ihres Stellenumfangs die Betreuung ihrer Kinder sichern können. Sehr häufig sind es die Frauen[2], die zugunsten der Kinder ihre Erwerbsarbeitszeit reduzieren. Hier sind die Politik und wir alle gefragt, Lösungen zu entwickeln, die dieser Entwicklung entgegenwirken[3].
Aus der Praxis wird in diesem Zusammenhang über Erfahrungen der Entsolidarisierung zwischen Eltern und den Kitas berichtet. Kita-Teams erleben z. T. Familien, die sehr auf ihr eigenes Wohl und das ihres Kindes bedacht, jedoch sehr herausgefordert sind, wenn es gilt, Ansprüche zurückzunehmen oder mit einer nichtoptimalen Situation umzugehen. Es bedarf demnach großer Kompetenz der Leitungs- und Fachkräfte, um in schwierigen Situationen zu einer konstruktiven Zusammenarbeit mit Eltern zu kommen.
In den Teams zeigen sich unter dem aktuellen Druck zunehmend Tendenzen der Überforderung (Schicht, Arbeitszeiten, Work-Life-Balance, etc.), die es erschweren, auf das Wohl der „Kita-Organisation“ und der Kolleg:innen zu achten.
Vor Ort hilft teilweise nur ein klarer Blick auf die Tatsachen: Ein Realitätscheck, wo stehen wir, was beschäftigt uns, woher bekommen wir Kraft, was nimmt uns die Energie, was können und wollen wir unter den aktuellen Bedingungen (noch) ermöglichen und was nicht, wie stellen wir ein Gleichgewicht zwischen persönlichen Belangen und den Belangen der Kita her?
Die Zerrissenheit zwischen der Sehnsucht nach den „alten Zeiten“, in denen Visionen durch neue Konzepte und eine große Aufbruchsstimmung in die Kita kamen und dem was uns aktuell immer wieder „nur noch funktionieren“ lässt, erfordert ein Innehalten und eine Auseinandersetzung mit den aktuellen Gegebenheiten.
Hier gibt uns das infans-Konzept mit seiner klaren Haltung eine gute Orientierung. Es zeigt auf, dass eine Priorisierung von Themen unumgänglich ist. Kita-Teams müssen gut geführt werden, aber auch sich selbst führen und täglich die Prioritäten setzen.
Gut aufgehoben zu sein, scheint uns als sichere Basis sowohl für die Kinder als auch für die Kita-Teams essentiell.
Eine (professionell) offene und vertrauensvolle Atmosphäre im Team, eine Orientierung an den Grundsätzen der lernenden Organisation, dem humanistischen Menschenbild und eine Kultur der gegenseitigen Achtsamkeit sind wesentliche Grundlagen, die erwarten lassen, dass Teams auch in schwierigen Zeiten handlungsfähig bleiben können. Was ist es aber ganz konkret, was den Teams ermöglicht, auch in der aktuellen Krisenzeit Ressourcen freizusetzen und gemeinsam kreative und sinnvolle Lösungen für aktuelle Herausforderungen (er-)finden zu können?
In der Arbeit mit der Veröffentlichung „Gut aufgehoben in der Kita – Zur Praxis einer professionellen Ethik“ sind Kita-Teams herausgefordert, diesen Fragen für sich an ihrem Ort in ihrer Situation konkret nachzugehen.
Möglicherweise wird in dieser Situation für manches Team ein Bedarf an Begleitung und Unterstützung von außen notwendig. Dies kann durch Supervision, Coaching und ganz spezifisch durch die Arbeit mit infans-Multiplikator:innen[4] erfolgen.
[1] Wertfein, Monika; Müller, Kerstin; Danes, Eric, Die Bedeutung des Teams für die Interaktionsqualität in Kinderkrippen, in: Frühe Bildung 2, 2013, S. 20-27
[2] https://www.news4teachers.de/2024/02/statistisches-bundesamt-frauen-leisten-deutlich-mehr-unbezahlte-arbeit-als-maenner/ (letzter Aufruf 10.07.2024)
[3] Praetorius, Ina; Maier.Gräwe, Uta: Um-Care, Wie Sorgearbeit die Wirtschaft revolutioniert, 2023
[4] https://www.infans.de/wp-content/uploads/Multliste-1-2021.pdf (letzter Aufruf: 10.07.2024)